Über Bässe in der Magengrube, flatternde Hosen und affizierte Körper: Popular Music Studies, New Materialism und der Klangbegriff der stofflichen Verkoppelung

Durch das Prisma des New Materialism beleuchtet dieser Beitrag die Potenziale materialistischer Forschungszugänge in den Popular Music Studies. Ich behaupte, dass die in den Popular Music Studies vorherrschenden kultursemiotischen Ansätze nicht sinnvoll über Materialität sprechen können, besonders dann, wenn es um Klangphänomene geht. Dieser Text diskutiert das anhand von „Basskulturen“ und der Taktilität von niederfrequenten Klängen im Kontext von Disco- und Clubkultur. Ich mache dafür den Klangbegriff der stofflichen Verkoppelung stark, mit dem sich ergründen lässt, wie Körper und Affektpotenziale in der Musik entstehen. Auch wenn ich damit versuche, Leerstellen poststrukturalistischer und von den Cultural Studies inspirierter Ansätze in den Popular Music Studies zu benennen, argumentiere ich ebenso, dass ein materialistisch gewendeter Klangbegriff, die Gefahr eines ontologischen Reduktionsimus birgt, die unbedingt zu vermeiden ist. Ich plädiere für eine verstärkte Schnittstellensuche, an der kulturalistische und materialistische Ansätze besser miteinander in Berührung kommen können.

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Einleitung

Für längere Zeit war Materialismus in den Kulturwissenschaften ein Reizwort. Standen materialistische Denkströmungen noch in den 1960ern im Zentrum marxistisch ausgerichteter Analysen, wurden sie mit dem cultural turn der 1970er und 1980er unter dem Einwand verdrängt, sie würden die Möglichkeit kritischer Untersuchungen von Kultur und Gesellschaft durch Essenzialismen und Naturalismen verstellen (Lemke 2015, 4). Bis zur Jahrtausendwende wurde Materialismus so zunächst zum Inbegriff überkommener Gesellschafts- und Kulturtheorien, bis sich mit dem so genannten material turn in den letzten zehn bis zwanzig Jahren eine erneute Kehrtwende ereignete, durch die inzwischen vielfältige Zugänge zu ebenso vielfältigen Materialitäten erprobt worden sind (Bennett und Joyce 2010; Löw et al. 2017).

Diese neuerliche Hinwendung zur Materialität weckte in den Kulturwissenschaften vor allem das Interesse für die Nutzung von Alltags- und Gebrauchsgegenständen, Medienobjekten und die Konstitution von Körpern und Körperpraktiken, die oft unter den Vorzeichen einer Praxeologie (Reckwitz 2003) oder einer Performativitätstheorie (Butler 2014) untersucht werden, aber auch mit Hilfe von ethnografischen Artefaktanalysen (Eisewicht 2016; Lueger und Froschauer 2018), Affordanz-Theorien (Gibson 1979) sowie Konzepten aus der Akteur-Netzwerk-Theorie (Latour 2005) und der Medienarchäologie (Huhtamo und Parikka 2011) wird hier gearbeitet. Dieses Methodenarsenal setzte in den vergangenen Jahren auch in den Popular Music Studies neue Forschungsimpulse, mit denen zur Materialität (bspw. zu Bauarten, Verschaltungen, Oberflächenstrukturen, Funktionen und Bedienungen) von spezifischen Geräten, so genannten „MusikmachDingen“ oder Musikobjekten und deren Wechselwirkungen mit kulturellen Praktiken, Körper- und Wissensformen intensiv geforscht und veröffentlicht wurde (Ismaiel-Wendt 2016; Pelleter 2020; Dörfling, Jost und Pfleiderer 2021; Burkhart et. al 2022; Ahlers et. al. 2022).

In diesem Beitrag werde ich den Fokus jedoch auf einen materialistischen Zugriff lenken, der eine ganz andere Wendung des Materialitätsbegriffs versucht. Blicken die genannten Ansätze weitgehend auf den Bereich von Handlungen mit handfesten oder greifbaren Objekten oder auf die Wirkung von konkreten Gegenständen auf Subjekte oder Körper, also Mensch-Objekt-Interaktionen im weitesten Sinne, stehen im New Materialism – etwa im „vitalen Materialismus“ von Jane Bennett (2010a) oder beim „zoe“-Konzept von Rosi Braidotti (2013) und ganz besonders im „agentiellen Realismus“ von Karen Barad (2007; 2012) – auch Moleküle und kleinste Partikel im Fokus. Während also viele aktuelle Studien unter Materialität bevorzugt feste Körper, Dinge und Gegenstände mit soliden Oberflächen verstehen, geht es in Denkrichtungen des New Materialism um die Plastizität und um Vorgänge der autopoietischen Selbstorganisation von Materialitäten in verschiedenen Aggregatzuständen, die sich im Mikrobereich abspielen können, die also die Welt der menschlichen Handlungsmacht und Beobachtungsfähigkeit in vielen Fällen überschreiten, etwa dann, wenn (Ein-)Wirkungen von Stoffen auf andere Stoffe (wie Reibungen, Vibrationen oder Oszillationen) in den Blick genommen werden. De facto sind materielle Festigkeiten und Grenzen von Objekten nur Tricks, die uns die menschliche Wahrnehmung vorspielt. Auf Partikel-, Molekül- und Quantenebene ist immer alles in Bewegung (Goodman 2010, 83; Barad 2012b, 209–215).

Auf den ersten Eindruck mag das mehr nach Physik klingen, als dass es irgendwie von Relevanz für die Erforschung von Musik bzw. Musikkulturen wäre. Doch das werde ich versuchen zu entkräften und ich behaupte, dass gerade in der zunächst nicht offenkundigen Passung dieses Materialitätsverständnisses das Innovationsmoment für die Kulturwissenschaften liegt. Auch wenn es mir hier nicht gelingen kann, die außerordentlich heterogenen Felder dieses New Materialism komplett auszuleuchten, möchte ich Ausschnitte der damit verbundenen Forschungszugänge anvisieren und dafür plädieren, dass eine nähere Auseinandersetzung in der Musikforschung bzw. konkret in den Popular Music Studies lohnt. Ich meine zudem feststellen zu können, dass sich gerade die Popular Music Studies besonders schwer damit tun, derart zugeschnittene Perspektiven auf Materialität in ihren kultur- und sozialwissenschaftlich sowie ethnografisch geprägten Theorie- und Methodenkanon zu integrieren. Für meine Begriffe ist die Vorherrschaft kultursemiotischer Paradigmen und nur ungenügend überwundener anthropozentrischer Denkweisen für diese Blockade verantwortlich. Dieser Text setzt sich entsprechend auch zum Ziel, hier zu intervenieren und ein paar Scharniere dieser Verbarrikadierung auszuhebeln.

Zunächst gilt es aber den grundsätzlichen Ausgangspunkt und die Stoßrichtung dieser Intervention zu bestimmen. Der New Materialism unterscheidet sich nicht nur vom eingangs angesprochenen Fächer praxeologischer, performativitätstheoretischer und medienethnografischer Zugriffe auf materielle Kulturen, er ist auch von historischen Epistemologien und Ontologien des Materialismus abzugrenzen, etwa dem antiken Atomismus der Vor-Sokratiker, der neuzeitlich-modernen Substanz-Philosophie bei René Descartes oder Baruch de Spinoza oder auch dem noch einmal ganz anders gearteten dialektischen Materialismus bei Karl Marx und Friedrich Engels (vgl. ausführlich Gamble, Hanan und Neil 2019). Im Unterschied zu diesen Vorläufern, mit denen er allenfalls rudimentäre Gemeinsamkeiten hat, ist der New Materialism eine seit den 2000er Jahren prominent gewordene Denkrichtung und das Attribut „New“ darf sowohl als eine Geste der Abgrenzung gegenüber diesen historischen Materialismen gesehen werden, aber auch als epistemologische Gründungsgeste und Reaktion (Ahmed 2007; Bruining 2016). Denn der New Materialism geht auf größere Distanz zu den heute in den Kulturwissenschaften vorherrschenden Modellen des Poststrukturalismus und der Cultural Studies, worauf ich in Abschnitt 3 noch genauer eingehen werde. Es wird mir dabei vor allem um folgende Gegenüberstellung gehen: Der Poststrukturalismus und die Cultural Studies verstehen die Welt als primär durch Zeichen, diskursive Repräsentationssysteme (oder auch symbolische Ordnungen) und Performanzen konstituiert und vertreten damit eine Wirklichkeitsauffassung, in der Materie oft nur die Rolle eines passiven Rohmaterials zugesprochen wird, das erst durch menschliche Agency mit Sinn versehen wird (Folkers 2013). Kurz gesagt: Für sich genommen haben Dinge und Objekte keine Bedeutung, ihre Geltung und Wirkungsweise ist immer kontextabhängig und wird erst durch Einbindungen in spezifische soziale Praktiken und Diskurse bestimmt – Lawrence Grossberg (1999) und Ien Ang (2008) haben das Forschungsprogramm der Cultural Studies entsprechend als „radikalen Kontextualismus“ bezeichnet. Der New Materialism stellt hingegen die Frage nach dem produktiven und dynamischen Eigenleben von Materialitäten, kurzum die Frage nach der materiellen oder stofflichen Beschaffenheit von Körpern, Medien, Artefakten und was diese in der Welt tun, wie sie etwa affizieren und bewegen oder auch unsere Subjektivierungsweisen prägen (Bennett 2010b). Die daraus resultierenden Perspektiven werde ich in den Abschnitten 4 und 5 diskutieren und fragen, wie der New Materialism der Musikforschung frische Denkanstöße liefern könnte, aber auch, wie gewisse Tendenzen des Materialitäts-Denkens in eine Sackgasse führen. Zum einen argumentiere ich, dass ein materialistisch gewendeter Klangbegriff wesentlich zum Verständnis von Affektivität und Körperlichkeit in Musikkulturen beiträgt. Das mache ich am Beispiel der Wahrnehmung von Bassvibrationen und Clubsounds deutlich, wofür ich den Klangbegriff der stofflichen Verkoppelung ins Spiel bringen und stark machen möchte (Abschnitt 4). Andererseits kritisiere ich ontologische Verengungen von materialistischen Klangbegriffen (Abschnitt 5) und plädiere abschließend für eine dringend notwendige Schnittstellensuche in den Popular Music Studies.

Die Materialität eines Bremshügels: Wie Materie etwas mit „uns“ macht

Stellen Sie sich einmal vor, Sie sitzen am Steuer eines Autos und fahren eine Fahrbahn entlang. Auf Ihrem Weg durch den Straßenverkehr werden Sie Verkehrszeichen begegnen, die Sie zu bestimmten Handlungsweisen auffordern oder auf mögliche Gefahren hinweisen. Sie passieren ein Schild mit einer rot eingekreisten 70 und achten darauf, dass sich der Zeiger Ihres Tachometers nicht über die 70 hebt. Beim Zufahren auf eine Ampel, die gerade von gelb auf rot springt, treten Sie sachte auf die Bremse, bis Ihr Fahrzeug vollständig und rechtzeitig zum Stillstand gekommen ist. Sie haben gelernt, dass es nötig ist, diese Verkehrszeichen und Signale zu kennen und zu entziffern. Ganz genauso wie die anderen Verkehrsteilnehmer*innen, die mit Ihnen an der roten Ampel warten, haben Sie die Bedeutungen der Symbole verinnerlicht, kennen auch das komplexe Regelwerk, das einzelne Schilder aufeinander bezieht und so passen Sie Ihr Fahrverhalten und die Navigation Ihres Fahrzeugs auf die Codes dieses dicht vernetzten Verkehrszeichensystems an, da Sie wissen, dass das Ihnen und Anderen schwerwiegende Konsequenzen wie Unfälle, Pannen oder Unannehmlichkeiten erspart: Soeben hat die rote Ampel Sie davor bewahrt, nicht in die Autos der kreuzenden Schnellstraße hineinzurasen. Die Ampel springt auf Grün und signalisiert Ihnen, dass Sie nun gefahrlos weiterfahren können.

Ihr Hund, der auf dem Rücksitz mitfährt, hat von all dem nicht wirklich etwas mitbekommen und friedlich auf seinem Plätzchen gekauert. Er hat ohnehin kein Rot-Grün-Empfinden und auch keinen Führerschein. Das ist aber auch nicht weiter schlimm, sagen Sie sich, denn Verkehrszeichen sind ja nur für eine ganze besondere Spezies, den Menschen gedacht. Während Ihnen dieser Gedanke durch den Kopf schießt, spüren Sie plötzlich einen heftigen Schlag an Ihrem Fahrzeug, der Ihnen einen kleinen Schreck durch die Glieder fahren lässt. Ihr Hund reagiert ähnlich verstört und wird aus seinem dösigen Zustand gerissen. Im Rückspiegel erkennen Sie, dass Sie ein Schlagloch übersehen haben und nicht vorsichtig genug über dieses Hindernis gefahren sind. Zum Glück, denken Sie, ist nichts Schlimmes passiert. Sie beschließen dennoch, dass es für die weitere Fahrt von Vorteil sei, besser auf die Strukturen im Asphalt zu achten und sich nicht völlig auf die Schilder zu verlassen. Sie nehmen den material turn.

Dieses kleine Gleichnis ist von einer Beobachtung Bruno Latours inspiriert, der in seiner Essaysammlung Pandora’s Hope (1999, 186–189) anregte, darüber nachzudenken, was es eigentlich mit Fahrbahnwellen oder Bremshügeln (speed bumps) im Straßenverkehr auf sich habe. Was tun solche Unebenheiten in der Fahrbahn, wozu nutzen sie und warum sind sie dort eingelassen? Latour merkte an, dass Bremshügel genauso wie Verkehrszeichen einen Aufforderungscharakter haben, denn sie werden in den Asphalt verbaut, um uns davon abzuhalten zu schnell zu fahren. Im Gegensatz zum Straßenschild tun sie das jedoch, indem sie uns nicht nur semantisch dazu auffordern, sondern materiell zur Drosselung der Geschwindigkeit veranlassen. Aus der Erfahrung des Autofahrens wissen wir, dass es außerordentlich unbequem und gar gefährlich ist, zu schnell über Unebenheiten der Fahrbahn zu rasen. Wir holen uns dabei blaue Flecken und Beulen, unsere Körper und Gefährte werden von dieser in die Fahrbahn eingelassene Unregelmäßigkeit unangenehm getroffen. Das Straßenschild fügt uns und unserem Fahrzeug bei Missachtung keinen direkten Schaden zu. Der Straßenhubbel droht uns hingegen direkten Schaden an, wenn wir ihn mit zu viel Geschwindigkeit nehmen. Sein Aufforderungscharakter ist ein anderer.

Damit ist hier grob umrissen, worum es in materialistischen Denkrichtungen geht. Wenn wir Kultur und Gesellschaft primär als Phänomene erforschen, die durch Zeichensysteme und deren Bedeutungen strukturiert sind, ignorieren wir eine ganz wesentliche andere Dimension, von der sehr konkrete Wirkungsmacht ausgeht. Anstatt sich nur mit dem System der Verkehrsschilder zu beschäftigen, um den Straßenverkehr und das Verhalten der Verkehrsteilnehmer*innen zu verstehen, würden materialistische Ansätze auch die Existenz und Wirkungen von Unebenheiten in der Fahrbahn hervorheben (dazu würden dann neben menschengemachten Bremshügeln auch durch Naturgewalt in die Fahrbahn gerissene Schlaglöcher oder umgestürzte Bäume gehören). Mit dieser Intervention weisen materialistische Theorien auf die weitgehende Abwesenheit von Dingen und Substanzen in Euro-westlichen Kulturverständnissen hin und man moniert, dass die Epistemologien der Moderne diesen Materialitäten nur Passivität, Leblosigkeit und keinerlei Bedeutung zugesprochen haben (Gamble, Hanan und Nail 2019). Wie ich eingangs erwähnt habe, setzt sich der New Materialism mit Materialität noch einmal auf eine ganz eigene Art auseinander als andere, gegenwärtig ebenso in Mode gekommene Materialismus-Ansätze, indem er nämlich auf stofflicher Ebene nicht nur die Meso-Ebene von menschlichen Körpern, Dingen und Alltagsgegenständen, sondern sowohl die Mikro-Ebene von Kleinstpartikeln und Molekülen als auch die Makro-Ebene von ganzen Ökosystemen in seine Betrachtungen einbezieht und damit eine konsequent posthumanistische Position einnimmt. Wie aus dieser Position heraus eine Kritik an kultursemiotischen Paradigmen geübt wird, werde ich im Folgenden vertiefen.

Diskurseffekte als Existenzbedingung von Dingen und Körpern: Die neumaterialistische Kritik am Poststrukturalismus und den Cultural Studies

Eine besonders starke Abgrenzungsbewegung kennzeichnet den New Materialism hinsichtlich der kulturwissenschaftlich sehr prägend gewordenen Poststrukturalismus und Cultural Studies (Kirby 2017). Beginnend in den 1960ern und dann mit großer Breitseite in der so genannten Postmodernedebatte der 1970er und 1980er haben diese ihren Aufstieg erlebt und in vielen kulturwissenschaftlichen Feldern zu einem tiefgreifenden Paradigmenwechsel geführt (Ferguson 2012). Auch neue eminent wichtige Forschungsrichtungen wie der Postkolonialismus und die intersektionalen Gender und Queer Studies sind in diesem Zuge entstanden und spätestens seit der Jahrtausendwende nicht mehr aus Lehrbüchern und Seminaren der Kulturwissenschaften wegzudenken (Storey 1997; Bromley, Göttlich und Winter 1999; Belsey 2002).

Diese Denkansätze übten eine vehemente Kritik an metaphysischen Wahrheitsbegriffen,  wie beispielsweise Michel Foucaults (1983; 2008) Analysen zur Archäologie des Wissens und zum konstitutiven Verhältnis zwischen Macht und Diskursen; stellten sich gegen Biologismen, Essenzialismen und Positivismen, wie beispielsweise Judith Butlers (1990; 2014) Arbeiten zur Performativität von Geschlecht; und sie bezogen auch kritisch Position gegenüber materialistischen Basis-Überbau-Modellen der Gesellschaftstheorie, wie beispielsweise in Ernesto Laclaus und Chantal Mouffes (1991) diskurstheoretischer Dekonstruktion des klassischen Marxismus. Der Poststrukturalismus und die Cultural Studies führten dagegen einen Kulturbegriff ins Feld, der als dynamisches Zeichensystem verstanden war, in dem Bedeutung und Sinn niemals objektiv gegeben sind, sondern in gesellschaftlichen Machtverhältnissen durch das Deuten und Handeln der Akteur*innen artikuliert werden. Die damit herbeigerufene kultursemiotische Wende des so genannten cultural turns begriff soziale Lebenswelten und Identitäten als Konstrukte von Differenzmustern, betonte also das Gewordensein und die potenzielle Wandel- und Aushandelbarkeit von kulturellen Sinnstrukturen (Hall und du Gay 1996). Kultur geriet so als ein von gesellschaftlichen Konflikten durchdrungener Raum der Bedeutungsproduktion und Sinnstiftung in den Blick, wie ihn etwa Stuart Hall in seinen Arbeiten beschrieben hat:

Cultures consist of the maps of meaning, the frameworks of intelligibility, the things which allow us to make sense of a world which exists, but is ambiguous as to its meaning until we’ve made sense of it. So, meaning arises because of the shared conceptual maps which groups or members of a culture or society share together. (Hall 1997a, 9)

Wie Hall mit diesem etwas unspezifisch bleibenden „we“ andeutet, gibt es für ihn keine einfach zu greifende Bedeutung vor menschlichen Handlungen und keine sinnvoll konstituierte Ordnung der Dinge, bevor diese in einen kulturellen Intelligibilitätsrahmen überführt worden sind. Ähnlich beschrieb Judith Butler in ihrer bahnbrechenden Kritik an essenzialistischen Geschlechterbildern gender als „effect of the apparatus of cultural construction“ (Butler 1990, 7) und führte dafür den Begriff der Performativität in die kulturwissenschaftliche Identitätsforschung ein. Prominent postulierte sie, dass Geschlechtsidentitäten durch verkörperte Sprechakte (Performanzen) hervorgebracht werden, die ihre Wirkungen immer nur in Abhängigkeit von einem kulturellen Intelligbilitätsrahmen entfalten (ebd., 24–25). Positionen wie die von Hall und Butler betonten, dass symbolische Ordnungen keine neutralen Zeichensysteme sind, die die Welt, so wie sie vermeintlich ist, repräsentieren oder abbilden, sondern sie sind machtbeladene diskursive Geflechte, die Phänomene, Gegenstände und Selbst- und Weltverhältnisse von Subjekten überhaupt erst als solche hervorbringen und auf diese Weise wirklichkeitsprägend sind (Hall 1997b; Butler 2001).

Mit diesem sozialkonstruktivistischen Zugriff gelang es dem Poststrukturalismus und den Cultural Studies zwar eindrücklich, symbolische Ordnungen als dynamische Prozesse zu kennzeichnen und die damit verbundenen, stets kontingenten Aushandlungsprozesse einer Analyse zu öffnen, doch vermochten diese Ansätze es nicht, Kultur- und Gesellschaftsanalyse von einem epistemologischen Logo- und Anthropozentrismus zu lösen, dem sie insgeheim weiterhin verpflichtet blieben (Barad 2012a, 70–71). Wohlgemerkt näheren sich der Poststrukturalismus und die Cultural Studies sprachlichen Repräsentationsmustern stets aus einer machtkritischen und dekonstruktivistischen Perspektive, doch bleibt dabei der Fokus an der Bedeutungshoheit von menschlicher Agency und Diskurseffekten haften, indem hier danach gefragt wird, wie menschengemachte Deutungsmuster, Performanzen oder soziale Praktiken über die Dinge und Objekte der Welt richten und ihnen ihre Bedeutungen aufpfropfen. Symbolische Ordnungen haben sich, um eine oft benutzte Wendung der Cultural Studies und des Poststrukturalismus zu bemühen, in die Gegenstände und Körper „eingeschrieben“ (Butler 1990, 128–141). Die Metapher des (Ein)Schreibens ist dabei für die Priorisierung von Zeichen und Sprache paradigmatisch. Hierbei wird davon ausgegangen, dass sämtliche, in einer Kultur beobachtbaren Phänomene mit Zeichen aufgeladen werden bzw. als Zeichenträger verhandelt werden können, wofür in der kulturwissenschaftlichen Nomenklatur häufig eine weitere Metapher, nämlich die des kulturellen „Textes“ zur Anwendung kommt. Der aus der Linguistik und Semiotik übernommene Begriff des Textes entwickelte sich durch den cultural turn zu einer allumfassenden und außerordentlich prägenden Formel, mit der etwa der Anthropologe Clifford Geertz zu behaupten wusste: „the culture of a people is an ensemble of texts“ (Geertz 1972, 29). Auch der Philosoph Jacques Derrida legte sich fest: „there is nothing outside of the text“ (Derrida 1976, 158). Gemäß dieser Auffassung besteht die primäre Aufgabe darin, Kulturen als Geflechte aus Texten zu interpretieren, etwa in Rezeptionsstudien oder hermeneutischen Analysen zu beschreiben, wie jene durch reziproke Bezüge („Intertextualität“) und die Einbettung in soziokulturelle Kontexte ihre Einschreibungen erhalten, wofür die Cultural Studies wiederum bevorzugt mit solchen zeichentheoretischen Begriffen wie „signifying practices“ (Hall 1997b) oder „Lesarten“ (Fiske 2000) operieren.

Die Musikforschung eignete sich diese Perspektiven für ihre Gegenstände und Methoden an. Beeinflusst von Poststrukturalismus und Cultural Studies bildete sich in der Musikwissenschaft die so genannte New Musicology heraus und letztlich gingen auch die Popular Music Studies aus den Rissen dieses Erdrutsches in den Kulturwissenschaften hervor. Eine wesentliche Innovation der New Musicology und der Popular Music Studies lag darin, den Musikbegriff nicht mehr auf ein scheinbar fixes Werk zu reduzieren, sondern ihn kultursemiotisch aufzubrechen und weiter zu fassen. Ein Blick in einschlägige musikanalytische Arbeiten der 1990er zeigt, dass das Text-Kontext-Paradigma der Cultural Studies bereits in diesen Jahren seine feste Verankerung in den Popular Music Studies gefunden hatte (Shepherd 1991; Moore 1993; Brackett 1995) und auch in ethnografisch und musiksoziologisch orientierten Studien liegen die bedeutungsgenerierenden Alltagspraktiken und Rezeptionshaltungen von Akteur*innen, Musiker*innen und Fans seit ungefähr dem gleichen Zeitraum im Mittelpunkt des Interesses (Finnegan 1989; Cohen 1991; Shank 1994). Vor diesem Hintergrund konnte Richard Middleton im Jahr 2000 festhalten, dass sich diese – wie er sie nennt – „cultural musicology“ zur „dominant species in popular music studies“ entwickelt hatte (Middleton 2000, 6). Mit dem cultural turn rückten so soziale Aushandlungs- und Sinnstiftungsprozesse in den Fokus der Musikforschung, ganz genauso wie bis dato marginalisierte Musikkulturen und -praktiken, die nicht in das Raster des nun ad acta gelegten Musik- und Kulturverständnisses passten. Damit war das Projekt auch mit einer eminent wichtigen politischen Agenda verbunden, der sie auch heute noch verpflichtet ist.

Bevor ich nun eine neumaterialistische Alternative zu diesen Ansätzen darlegen möchte, scheint mir wichtig zu betonen, dass es innerhalb des Poststrukturalismus und der Cultural Studies immer schon Auseinandersetzungen mit den Problemen einer semiotischen Verengung des Kulturbegriffes gab und so keineswegs völlig ungebremst (ohne Beachtung der Bremshügel) auf einen zeichentheoretischen Reduktionismus zugesteuert wurde. Wie Hall im oben wiedergegeben Zitat bemerkt, ist für ihn die Existenz der Dinge vor deren Eintritt in einen kulturellen Intelligbilitätsrahmen durchaus real, wenngleich in diesem Zustand, wie er sagt, „ambiguous“. Hall zog in seinen Arbeiten daraus allerdings niemals die Konsequenz, dies weiter zu vertiefen. Andere Vertreter*innen wie die genannten Laclau und Mouffe oder Butler haben das „nicht-diskursive“ Moment von soziokulturellen Phänomenen hervorgehoben und bringen das in ihren Arbeiten sogar auf den Begriff der Materie bzw. des Materiellen. Bei Laclau und Mouffe ist der Diskursbegriff materiell gedacht, insofern dass sich diskursive Artikulationen immer nur im Komplex der „materielle[n] Dichte der mannigfaltigen Institutionen, Rituale und Praxen“ (Laclau und Mouffe 1991, 160) entfalten können. Doch was hier unter der Chiffre des Materiellen gefasst wird, erschöpft sich in einem Begriff gesellschaftlicher, politischer und kultureller Apparate. Das hat wenig mit der stofflich gedachten Konzeption von Materialität zu tun, wie sie im New Materialism diskutiert wird. Auch Butler macht mit ihrem Performativitätsbegriff deutlich, wie sprachliche Repräsentationen regelmäßig an ihre Grenzen stoßen und scheitern, da sie stets von einer nicht vollständig symbolisch zu bändigenden Materie heimgesucht werden (und genau genommen ist das sogar der Clou hinter ihrem Performativitätskonzept). Im Vorwort zur deutschen Ausgabe von Bodies That Matter, Körper von Gewicht erteilt Butler einem „linguistischen Idealismus“ entsprechend eine entschiedene Absage (Butler 2014, 15). Doch Butlers Theoretisierung von Diskursen, Normen und Performanzen arbeitet sich an einem sehr spezifischen Zuschnitt von Materialität ab, der auf den Menschen begrenzt bleibt. Wie Karen Barad in ihrer Kritik von Butlers Performativitätsansatz anmerkt, denkt dieser zwar „Fragen der Materialität und Bedeutung in ihrer Unauflöslichkeit zusammen; Butlers Anliegen beschränkt sich jedoch auf die Produktion menschlicher Körper“ und „auf den Bereich menschlicher Sozialpraktiken“ (Barad 2012a, 30). Damit kann auch Butler nicht sinnvoll über Formen der Materialität sprechen, die sich jenseits von menschlicher Agency befinden. Die Konzeptionen von Materialität, wie sie hier vorgelegt werden, greifen zu kurz und eignen sich nicht für die Perspektive, auf die es mir im Folgenden ankommen wird.

Affizierungspotenziale und neue Körpergrenzen: Klang als stoffliche Verkoppelung

Neumaterialistische Ansätze kritisieren also, dass der vom Poststrukturalismus und den Cultural Studies herbeigerufene Paradigmenwechsel erhebliche Leerstellen ließ. Mit dem Fokus auf die Sinnzuschreibungen der Akteur*innen fiel die Welt materieller Dinge und Körper vom epistemologischen Radar, insofern dass auch diese nur im Register von diskursiven Ordnungen und menschlicher Agency verhandelt werden. Bei allen wichtigen Errungenschaften, die der cultural turn für die Popkultur- und Popmusikforschung brachte, liegt für meine Begriffe das größte zu bewältigende Problem an dieser Stelle:Die Reduktion kultureller Phänomene auf den Begriff des „Textes“ – egal ob es sich dabei um Literatur, Musik, Filme, TV-Sendungen, Videoclips oder Internetcontent handelt – und die entsprechende Vereinheitlichung der Rezeptionsperspektive als „Lesarten“ bricht sinnliche und auch höchst spezifische Erfahrungsunterschiede von medial formatierten Klängen, (bewegten) Bildern, geschriebener bzw. gesprochener Sprache usw. auf eine symbolische Dimension herunter und unterstellt, Subjekte deuten und interpretieren diese vornehmlich als Zeichen. An dieser Stelle kann nun mit dem New Materialism eingehakt werden. Dabei nehme ich vorweg, dass ich die Perspektiven und Forschungsprogramme eines neumaterialistisch gewendeten Kulturverständnisses nicht als Ersetzung, sondern als produktive Erweiterung des cultural turns verstehe, obschon die Hinwendung zur Materialität auch mit punktuellen Revisionen von Prämissen des Poststrukturalismus und der Cultural Studies verbunden ist.

Es sind höchst unterschiedliche Materialitäten vorstellbar, die mit dem New Materialism zur Debatte gestellt werden können: Kleinste Partikel, größere Körper oder gar Stoffwechselprozesse von komplexen Ökosystemen, Beschaffenheiten und Anordnungen von Räumen, die mechanische, elektronische oder elektromagnetische Operativität von Medientechnologien sowie Vorgänge der Oszillation und Vermischung von Stoffen in unterschiedlichen Aggregatzuständen (siehe im Überblick Lemke 2021, 3–5). Der New Materialism nimmt hier eine posthumanistische Perspektive ein und betont, dass diese nicht genuin humanoiden bzw. nicht menschengemachten Stoffe eine eigene Agency und Dynamik haben (Barad 2012a, 10–22; Braidotti 2013, 55–104). Der Heterogenität der auf diese Weise adressierbaren Phänomene kann ich hier auf keinen Fall gerecht werden, weshalb ich mich im Folgenden auf Klang konzentrieren will, da das wohl jenes Phänomen ist, das die Musikforschung ganz besonders betrifft.

Die Idee, die Materialität von Klängen zu erforschen, beruht besonders auf einem Argument, mit dem auf die angesprochenen Leerstellen hingewiesen wird. Zeichen und Diskurse, die der sozialkonstruktivistische Ansatz untersucht, stiften Sinn und produzieren Bedeutung; Klänge werden jedoch immer auch sinnlich, haptisch, körperlich oder affektiv erfahren. Selbstverständlich funktionieren Klänge auch als Zeichen, konnotieren oder assoziieren oft kulturspezifisch geprägte Bedeutungen: Höre ich beispielsweise ein piependes Alarmsignal, kann das bei mir das Bild eines Radioweckers erzeugen, der Klang einer aufheulenden Sirene kann mir die Szene eines Kranken- oder Polizeiwagens bzw. -einsatzes in den Kopf setzen und speziell in Bezug auf Musik ist inzwischen schon ergiebig diskutiert worden, wie spezifische Klangsignaturen oder -gestaltungen mit Männlichkeits- oder Weiblichkeitskonstruktionen bzw. sexistischen Körperbildern (Müller 2018) oder rassifizierten Diskursordnungen und rassistischen Denkweisen (Stoever 2016; Eidsheim 2019) etc. in Verbindung stehen. Das Piepen des Radioweckers hat aber auch eine affektive Dimension: Das unvermittelte Anspringen des Alarmsignals kann bei mir einen kleinen Schreck auslösen. Nach wenigen Augenblicken nimmt dieser Schockmoment zwar ab, doch wenn das Signal nicht abgestellt wird und weiter andauert, geht mein affektiver Zustand in körperliche Unruhe oder Stress über und provoziert das immer drängender werdende Bedürfnis der Unterbindung des Alarmsignals, also das Abstellen des Radioweckers.

Hier nun ist nicht die Zeichenebene, sondern die affektive Komponente von Klängen angesprochen. Klangliche Affekte sind, wie Anahid Kassabian (2013, 20) und Marie Thompson (2017a, 43–48) argumentieren, niemals in einem Objekt oder Subjekt lokalisier- und fixierbar, sondern sie sind grundsätzlich relational. Sie entstehen nur in räumlichen Beziehungen zwischen Subjekten und Objekten als Ausdruck von Nähe-Distanz- oder Größen-Verhältnissen, also dann, wenn ein Körper oder Stoff auf die akustische Präsenz und Veränderung eines anderen Körpers oder Stoffes reagiert. Je näher, raumgreifender oder mächtiger ein Klang oder klingender Körper erscheint, desto bedrohlicher, anziehender oder mehr lustbereitend kann er wirken. Die akustische Präsenz von Klängen wird in der jüngeren materialistisch ausgerichteten Klangforschung, etwa bei Steve Goodman (2010) und Nina Sun Eidsheim (2015), vor allem unter dem Begriff der Vibration, also als Vibrationsereignis bzw. als vibrierende Materie diskutiert. Damit Klang im Raum präsent sein kann, braucht er Stoffe oder Körper, die Vibrationen produzieren, aufnehmen und an andere Stoffe oder Körper übertragen. Bei diesem Prozess können sehr heterogene Stoffe beteiligt sein, denn eine Vibration spricht potenziell alle im Raum präsenten Oberflächen, Objekte und Körper an. Jeder Stoff steht in Wechselwirkungen mit anderen. Mit dem New Materialism lassen sich klanglich hervorgerufene Affekte als Resultate solcher stofflichen Verkoppelungen oder als das, was Barad die „Verschränkung intraagierender ‚Agentien‘“ nennt, begreifen (Barad 2012a, 19). Hier geht es gerade nicht um Musik als Text. Nimmt man den Vibrationsbegriff als Grundlage, wird musikalischer Klang nicht in einem fixierbaren Objekt lokalisiert, sondern als über konkrete Räume und darin präsente Körper und Stoffe – also verschiedene Materialitäten – distribuiertes Phänomen verstanden (Eidsheim 2015, 2–8). Die grundsätzliche Stoßrichtung ist also eine, die sich der Materialität von Klängen als räumlich ausgedehntem Phänomen nähert, diverse Stoffe in den Blick nimmt und affektive Wirkungen nicht auf plump mechanische Reiz-Reaktionsschemata, Kausalitäten oder Psychologismen reduziert.

Ich möchte diesen Gedanken anhand eines Beispiels ausbreiten. In der Forschung zur Electronic Dance Music (EDM) ist in den letzten Jahren über das körperliche Affizierungspotenzial von Vibrationen, besonders von tieferen Bass- oder Subbassfrequenzen in Club- und Discoräumen, intensiv geschrieben worden (Zeiner-Henriksen 2010; Garcia 2015 und 2020; Henschel 2015; Papenburg 2016; Jasen 2016; Fink 2018). Diese Arbeiten betonen, dass die Räumlichkeiten moderner Discos und Clubs so eingerichtet sind, dass sie eine hyperintensive Körpererfahrung der Besucher*innen geradezu provozieren sollen. Hier könnten Worte verloren werden über das typische Disco- und Club-Ambiente mit seiner oft futuristisch oder in anderer Hinsicht ästhetisch verspielt wirkenden Inneneinrichtung und einer spezifischen Beleuchtung (an bestimmten Stellen ist der Raum eher dämmrig, an anderen leuchten Stroboskope oder Scheinwerfer), das den Besucher*innen visuelle Reize präsentiert, die anregend oder auch desorientierend auf den Körper wirken können (Henschel 2015, 5–7). Doch auch die Materialität der hier erzeugten Klänge spielt für die intensivierte Körpererfahrung eine entscheidende Rolle. Das Betreten eines Clubs soll den Besucher*innen das Gefühl geben, in eine sehr außergewöhnliche Klangatmosphäre einzutauchen, gewissermaßen von Klang „umspült“ zu werden. Die im Clubraum verbauten Sound Systems zielen darauf ab, ein Klangerlebnis zu veranstalten, das den ganzen Körper anspricht. Üblicherweise stehen hier mächtige Lautsprecheranlagen, die besonders für die Verstärkung von Bässen konstruiert sind und auch mit zusätzlichen Geräten wie Bass Enhancern oder Subwoofern verschaltet bzw. versehen werden (Papenburg 2016). Diese Lautsprecher werden rund um die Tanzfläche aufgestellt (z.B. im Viereck), um die dort tanzenden Körper aus allen Richtungen mit Klang zu „befeuern“. Dabei werden die Tänzer*innen besonders von der Wucht der mächtigen Bässe ergriffen, auf die die EDM-Forschung ihr spezielles Augenmerk legt und postuliert, dass die Wahrnehmung von tiefen Frequenzen die Erfahrung des Körpers im Clubraum auf sehr spezifische Weise mitkonstituiert.

Bassfrequenzen breiten sich in Form von langen Wellenlängen aus: Eine Frequenz von 100 Hertz wirft eine Wellenlänge von 3,44 Metern, eine Frequenz von 40 Hertz wirft eine Wellenlänge von 8,60 Metern. Bässe benötigen mehr Raum, um sich aufzubauen, sind damit durchaus im wörtlichen Sinne raumgreifender als Mitten oder Höhen und auch sind sie durch ihre langen Wellenlängen gewissermaßen durch die Tänzer*innen erkundbar oder, man könnte sagen, „begehbar“. Verändert ein*e Tänzer*in zum Beispiel die Position um einen oder zwei Meter auf der Tanzfläche, kann es sein, dass sich die Basserfahrung für sie auf einmal ganz anders anfühlt, da sie dann an einem Punkt mit anderem Energiegehalt innerhalb der sehr langen Bass-Welle steht. Auch können Bässe, psychoakustisch gesehen, vom menschlichen Gehör schwerer auf eine Klangquelle hin lokalisiert werden, so dass sie – abhängig von der Raumgröße (Fink 2018, 99) – desorientierend auf den Körper wirken können. Der Klangforscher Paul Jasen versucht sich in folgender, etwas poetischer Beschreibung des von der Basserfahrung ausgelösten Körpergefühls der Tanzfläche:

The bass-drenched dancefloor is a laboratory for investigating the asymmetrical effects of low-frequency undulation as it alters the body’s image of itself: tones and impacts felt strongly here, differently there and elsewhere not at all; vibrations that travel across the sensorium as their frequency shifts upwards or down; autonomic responses, anomalous perceptions, questions. When bass moves bodies, it puts them at variance with themselves; new inflections of being are sparked in a stream of heterogeneous encounters. (Jasen 2015, 22)

Bässe erreichen den Körper aber nicht nur durch die Ohren bzw. den Hörapparat, sondern auch taktil über die Hautoberfläche und die inneren Organe. In der EDM-Forschung herrscht hier Einvernehmen darüber, dass die Beschallung der Tanzfläche zu einer multimodalen Sinneswahrnehmung führe, weil die wuchtigen Bässe auch über die Haut aufgenommen und in der Magengrube gespürt werden. In Analysen verschiedener EDM-Tracks zeigt Luis-Manuel Garcia (2015), wie auch auf Seiten der Produktion ein starker Fokus auf die Bassgestaltung – wie heftigen Kickimpulsen, aber auch taktil erfahrbaren rhythmisch-perkussiven Layern – gelegt wird. Klänge werden in EDM-Produktionen zudem oft mit Hilfe von Effekten wie z.B. Envelope-Filtern moduliert, die beim Abspielen über die mächtigen Club-Sound Systems „sharp and high-powered fluctuations of air pressure” erzeugen „that can be registered as impact across several of the human body’s sensory modes” (ebd., 62). Hillegonda Rietveld (2001), Ragnhild Torvanger Solberg (2016) und José Gálvez (2019) wiederum betonen, wie das Spiel mit der Bassgestaltung zur wesentlichen Dramaturgie von DJ-Sets gehört. In vielen EDM-Genres werden Tracks typischerweise durch kurze bassärmere und meist auch rhythmisch zurückgenommene Passagen gestaltet („break down“), auf die zunächst eine Steigerung („build up“) und schließlich das wuchtige Wiedereinsetzen des Basses und des Beats („drop“) folgt, was die Menschen auf der Tanzfläche dann als körperlichen Kick-Impuls erfahren.

Damit greifen bei der Klangerfahrung im Club mehrere Komponenten ineinander: Raum(an)ordnungen, Technologien, Musikproduktionszusammenhänge und menschliche Körper und deren Verschränkung funktioniert stofflich. Das Anspielen eines Tracks, in den bereits eine spezifische ästhetische Klangkonfiguration hineinprogrammiert/-codiert wurde, wird zunächst in ein elektrisch verstärktes Signal umgewandelt, das die Lautsprechermembrane auslenkt und die Gehäuse und Hohlräume von Boxen zum Vibrieren bringt. Diese übertragen, abhängig von ihrer jeweiligen Bauart und verwendeter Bauteile, Energie an die umgebenden Luftmoleküle, in Form von sich kugelförmig im Raum ausbreitenden Schallwellen, die sich an den Wänden oder auch diversen Gegenständen des Raumes brechen und reflektieren oder mit ihnen resonieren. Die so erzeugten Schwankungen des Schalldruckpegels erreichen schließlich den Hörapparat, aber regen auch die Haut und Organe an.

Robert Fink gibt mit Blick auf Messdaten aus Experimenten zu den körperlichen Effekten von tieffrequenten Vibrationen den Hinweis, dass das menschliche Gehör Frequenzen unter 100 Hertz außerordentlich schwer hört (Fink 2018, 93). Diese müssen im wahrsten Sinne des Wortes eine gehörige Energie haben, damit sie das Ohr überhaupt registriert und viel Energie der Schalldruckwelle geht bei deren Weg von der Lautsprechermembran durch die Luft verloren, sie „verpufft“ gewissermaßen. Auch die Haut und die inneren Organe resonieren nur äußerst schwach mit tiefen Frequenzen: „air and our bodies don’t couple well; most of the long-wave energy simply bounces off the surface of our skin, leaving a small fraction to vibrate the touch sensors in our epidermis” (ebd., 97). Doch schon diese geringen Auslenkungen der Hautoberfläche, so fährt Fink unter Berufung auf empirische Studien fort, scheinen in der Lage zu sein, das Gefühl eines Schlages oder eines Stoßes im Körper auszulösen. Finks Artikel ist hervorragend, insofern dass er dafür plädiert, eine – wie er sie nennt – „materialist musicology“ auch mit Befunden aus der Tontechnik, Psychoakustik und Medizin anzureichern (ebd., 91). Während er in seinem Text detailliert auf verschiedene Studien eingeht und dabei penibel die Eigenfrequenzen menschlicher Körperteile und andere Messdaten auflistet, macht er fast schon beiläufig und erst am Ende seines Artikels (ebd., 112) eine Bemerkung, die mir für eine materialistische Perspektive auf Klang von eminenter Bedeutung scheint. Er gibt nämlich den Hinweis auf ein weiteres Interface, das für die Basserfahrung im Club unbedingt einzubeziehen ist: Während menschliche Körperteile nur sehr schwach mit tiefen Frequenzen resonieren, können die Kleidungsstücke, die wir auf der Haut tragen, von tieffrequenten Schalldruckschwingungen vergleichsweise leicht angeregt und zum Flattern gebracht werden (dieser Effekt lässt sich sehr einfach nachvollziehen, wenn man ein Blatt Papier vor die Membran eines Lautsprechers hält oder ein Glas Wasser auf das Gehäuse einer Box stellt: Das Stück Papier oder das Wasser im Glas werden durch die Vibrationen in Bewegung gesetzt). Im Club scheinen Hosen und T-Shirts ein wesentlicher Koppler von Luft und Haut zu sein (zumindest wäre das einmal genauer zu untersuchen). Die flatternde Kleidung wirkt hier wie eine verstärkende Membran, die in die Übertragung der Vibrationen von Luft an Haut zwischengeschaltet ist und unsere taktilen Sinnesrezeptoren in der Epidermis anregt. Wenn eine neumaterialistische Perspektive es sich zur Aufgabe macht, die Wechselwirkungen von diversen Stoffen in den Blick zu nehmen, wäre bei der Klangerfahrung im Club also auch das Flattern einer Hose oder eines T-Shirts mit in Betracht zu ziehen.

Ich glaube, das Beispiel von EDM-Clubsounds verdeutlicht gut, wie sich eine neumaterialistische Näherungsweise dazu eignet, über Klangerfahrungen und Körperlichkeit in der Musik unter neuen Vorzeichen zu denken. Tatsächlich lässt sich mit einem stofflich gedachten Klangbegriff auch der von den Vibrationen konstituierte Körper im Club völlig anders begreifen. Anstatt, wie in der klassischen Mechanik, klare und im Voraus gegebene Grenzen zwischen Körpern zu postulieren, um dann zu beschreiben, wie diese aufeinander wirken, argumentiert der von der Quantenphysik inspirierte „agentielle Realismus“ von Karen Barad, dass ein Körper gerade durch Intraaktionen von Stoffen im Mikrobereich hergestellt wird:

Körper nehmen nicht einfach ihren Ort in der Welt ein. Sie sind nicht einfach in bestimmten Umgebungen situiert oder lokalisiert. Vielmehr werden ‚Umgebungen‘ und ‚Körper‘ intraaktiv gemeinsam konstituiert. Körper (‚menschliche‘, ‚zur Umgebung gehörige‘ oder sonstige) sind integrale ‚Bestandteile‘ oder dynamische Rekonfigurationen dessen, was existiert. (Barad 2012a, 73)

Barad spricht hier gezielt von Intraaktionen, nicht von Interaktionen, da das Präfix „Inter“ eine im Voraus gegebene Grenze zwischen Körpern (oder eben eine Subjekt-Objekt-Trennung) suggerieren würde. „Intra“ verweist hingegen auf die Verquickung von Stoffen, ohne eine prästabilisierte Form und Einheit von Körpern anzunehmen. Es sind diese Intraaktionen stofflicher Agentien, die Materialitäten überhaupt erst als solche erzeugen, also Körper und deren Begrenzungen situativ und immer wieder neu bestimmen. Barad greift Donna Haraways berühmte Frage aus dem Cyborg Manifesto „Why should our bodies end at the skin?” (Haraway 1991, 178) auf und versteht den menschlichen Körper als eine niemals vollständig geschlossene, durch Prothesen und andere stoffliche Verlängerungen dehnbare Entität. Die flatternde Hose wird im Falle der Vibrationserfahrung im Club zu einem Teil des Körpers bzw. zur Erweiterung seiner „Sinnesgrenze“ (Barad 2012a, 50). Entsprechend postuliert Barad, dass Materie grundsätzlich performativ sei, da Agency nicht nur im menschlichen, sondern auch im „Tun“ nicht-humanoider Stoffe zu beobachten ist (Barad 2003). Übertragen auf das gewählte Beispiel heißt das wiederum: Die Auslenkungen der Lautsprechermembrane, die Schalldruckschwingungen der Luft, der flatternde Stoff der Hose und die menschliche Hautoberfläche sind in der Situation des Clubraumes als unterschiedliche Komponenten eines Vibrationsvorganges aneinandergekoppelt. Der mit dieser Klangerfahrung verbundene Affekt entsteht entsprechend nicht allein im menschlichen Körper auf der Tanzfläche (dieser existiert in Barads Konzeption ja auch gar nicht als prästabilisierte Einheit), sondern wird nur situativ durch die Präsenz und die Verteilung von Stoffen im Clubraum möglich.

Erst die Abkehr von einem Textbegriff öffnet die Perspektive auf diese klanglich-materielle Affizierung des Körpers durch Vibrationen und es lässt sich behaupten, dass der wesentliche Anreiz für den Besuch eines Clubs oder einer Disco in einer bewusst auf Körperlichkeit abzielenden Musikerfahrung und nicht etwa in einem kontemplativen, interpretativen oder assoziativen Hin- oder Zuhören besteht.Ein auf stoffliche Verkoppelungen fokussierter Klangbegriff regt entsprechend auch dazu an, über tradierte Musikverständnisse und den Begriff des Musikhörens grundsätzlich anders nachzudenken. Hier schließen sich dann auch kulturwissenschaftliche Fragen an: Basslastige Musikgenres wurden in der Forschung bereits mehrfach mit dekolonisierenden Praktiken und einer dezidiert afro-diasporischen Ästhetik in Verbindung gebracht. Ein mit Fokus auf tiefe Bässe gestaltetes Musikerlebnis stehe einem eurozentrischen, entkörperlichten und zerebralen Musikverständnis entgegen, wie Tricia Rose (1994, 75–76) für den US-amerikanischen Hip-Hop, Louise Meintjes (2003, 112–123) für südafrikanischen Mbaqanga, Julian Henriques (2009) für jamaikanischen Reggae und Mykaell Riley (2014) für Spielarten britischer Black Music, von frühen Reggae-Importen bis hin zum jüngeren Dubstep und Grime, argumentiert haben. Auch die von mir herausgegriffenen Forschungen zu den Basskulturen im EDM machen den zentralen Einfluss von Schwarzer Ästhetik in diversen Genres von House bis Dubstep geltend (Garcia 2020, 31). Gerade vor dem Hintergrund dieser kulturellen Zusammenhänge stellt die Taktilität der Klangerfahrung eine methodische Herausforderung für die – immer noch stark von einem „white racial frame“ (Ewell 2020) dominierte – Musikanalyse dar (Papenburg 2016, 210), da sich herkömmliche Analyseinstrumente nur auf fixierbare und objektivierbare Parameter fokussieren (ein Fünf-Linien-Notensystem, aber auch ein Spektrogramm können die Körperlichkeit des Musikhörens nicht abbilden).

Die Perspektive auf Klang als stoffliche Verkoppelung und körperliche Affizierung hat aber auch Implikationen für die Erforschung von Clubs und Discos als soziale Räume. Garcia (2020) argumentiert, dass durch das kollektiv geteilte Körpergefühl der Vibration für den Moment des Clubbesuchs eine temporäre Form von sozialer Gemeinschaft entsteht, in der Subjekte über den Klang miteinander Verbindungen eingehen. Zwar ist davon auszugehen, und das ist ein sehr wichtiger Punkt, der eine deterministische Verengung vermeidet, dass klangliche Vibrationen nicht von allen Clubbesucher*innen auf die gleiche Art und Weise gespürt werden und dass damit auch unterschiedliche Erfahrungen und Umgangsweisen vorstellbar sind (ebd., 31). Dennoch kann die Präsenz von über den Raum verteilten vibrierenden Körpern und Stoffen als ein affizierendes Ereignis verstanden werden, auf dessen Grundlage die daran Teilnehmenden soziale Praktiken ausbilden und vollziehen. Garcia begreift das als Formen des „entrainments“ und „attunements“, mit denen Klang in körperliche Ausdrucksformen (wie etwa Tanzen) übersetzt wird und die Clubbesucher*innen Gefallen daran finden „to mimic and synchronise bodily affects“ (ebd., 30), was den sozialen Charakter dieses Musikerlebnisses entscheidend mitprägt. Mir scheint, dass ein Klangbegriff der stofflichen Verkoppelung, hier weiter ausgedeutet als sozio-affektiver Kitt, in musiksoziologischen oder musikethnografischen Arbeiten eine nützliche Analysekategorie sein könnte.

Bezeichnenderweise sind viele der in diesem Abschnitt angeführten Studien stärker von den Diskursen der Sound Studies, also von einem nicht exklusiv auf Musik bezogenen Forschungskontext inspiriert. Dieser Punkt wird mich im Fazit noch einmal beschäftigen. Festzuhalten bleibt hier zunächst, dass ein materialistisch gewendetes Musikverständnis, das Klang als stoffliche Verkoppelung von diversen Materialitäten konzipiert, auf noch ausbaufähige Potenziale der Musikforschung hinweist und neue Perspektiven auf Musik und Musikkulturen freisetzt.

Materialität nicht als Bremshügel, sondern als Fallstrick: Wenn materialistisches Klangdenken in eine Sackgasse führt

Wie ich gerade angedeutet habe, lassen sich kulturwissenschaftliche Fragen problemlos an Ansätze des New Materialism anschließen. Deutlich wurde, wie es eine neumaterialistische Perspektive ermöglicht, über die Akteur*innen der populären Musik und Kultur einmal anders zu denken. Die Cultural Studies haben dabei eher ein Subjekt im Sinn, das seine Umwelt immerzu deutet und interpretiert, seine Welt entweder bewusst oder unbewusst durch Bedeutungsnetze wahrnimmt usw. Mit den Ansätzen, die das Subjekt stärker stofflich und über Körperlichkeit denken, lassen sich Kulturen auch als gefühlte und affektive Strukturen beschreiben. Für eine auf Materialität ausgerichtete Kulturtheorie kommt mir etwa Sara Ahmeds affektorientierter Ansatz als anschlussfähige Erweiterung in den Sinn. In The Cultural Politics of Emotion (2004) schlägt Ahmed vor, Prozesse der Subjektivierung stärker durch das Prisma von Emotionen zu ergründen, anstatt sich – wie in poststrukturalistischer Subjekttheorie üblich – vornehmlich auf Vorgänge der Normierung, diskursiven Anrufung und Identitätsbildung zu konzentrieren. Ahmed macht das Argument stark, dass Affekte wesentliche Orientierungsmuster für die Subjektwerdung darstellen und dass dabei auch die Zustände und Grenzen unserer Körper stetig neu geformt werden, womit sie durchaus in großer Nähe zum gerade geschilderten Körperbegriff von Barad liegt: „It is through intensification of […] sensations that bodies and worlds materialise, and take shape, or that the effect of boundary, surface and fixity is produced“ (ebd., 24). Klang wäre in dieser Hinsicht eine Möglichkeit, Körpergrenzen über sinnliche Erfahrung zu explorieren.

Ahmed gibt allerdings auch Hinweise auf Fallstricke eines neumaterialistischen Denkens. Insbesondere hat sie auf eine überspitzende Rhetorik hingewiesen, die sie in vielen Veröffentlichungen aus dem Kontext des New Materialism beobachtet und als dessen Gründungsgeste herausstellt (Ahmed 2007). Diese Gründungsgeste besteht im wiederholt vorgetragenen Kritikpunkt, die Kulturverständnisse des Poststrukturalismusund der Cultural Studies seien durch und durch ignorant in Bezug auf „Natur“. Speziell in der von Barad vorgetragenen Kritik am Poststrukturalismus beobachtet Ahmed, wie hier eine Pauschalisierung vorliegt, die einer „caricature of poststructuralism as matter-phobic“ gleichkommt und die die durchaus vorhandenen Reflexionen poststrukturalistischer Denkansätze zu Materialität völlig negiert (ebd., 43). Ahmed entkräftigt dies eindrücklich, indem sie zeigt, wie sich (poststrukturalistische) Vertreter*innen des Second- und Third-Wave Feminism mit Fragen der Biologie und Natur durchaus dezidiert auseinandergesetzt haben. Allerdings kann Ahmed, wie Thomas Lemke (2021, 75) feststellt, bei aller Triftigkeit ihrer Einwände ebenso vorgeworfen werden, dass sie den gleichen Fehler wie Barad begeht und wiederum deren Ansatz zu einer Karikatur macht, die die vielen Innovationen neumaterialistischer Theoriebildung pauschal zurückweist. Das Problem liegt hier offensichtlich darin, dass die Fronten auf beiden Seiten verhärtet sind und starke Abschottungseffekte zu Tage fördern. Indem kulturwissenschaftliche Ansätze immer wieder pauschal als das große Feindbild im New Materialism heraufbeschworen werden (und vice versa), verschließt sich der Blick auf mögliche Schnittmengen und ich beobachte dazu noch die Gefahr eines Reduktionismus. Diese lauert dort, wo die Kritik an den Leerstellen eines kultursemiotischen Zugriffes versucht, den Spieß umzudrehen und meint, Materie müsse vor der epistemischen Gewalt der Sprache, Diskurse und Zeichen gerettet werden. Dieser Reduktionismus stülpt die Dichotomie einfach nur um und hält sie aufrecht, anstatt sie aufzubrechen.

In der materialistischen Klangforschung gehen einige Forscher*innen tatsächlich so weit, zu postulieren, es sei möglich, Klang völlig losgelöst von kulturellen Zusammenhängen zu betrachten. Die zwei wohl bekanntesten Vertreter dieses Ansatzes sind Steve Goodman (2010) und Christoph Cox (2011), die mit ihren Theorien zu Klang und Affekt nicht nur ein epistemologisches Umdenken herbeiführen, sondern gar eine neue Ontologie durch Klang aufstellen wollen, weshalb deren Position auch als ontological turn bezeichnet wird. Goodman und Cox greifen die materialistische Kritik gegenüber kultursemiotischen Positionen auf und bemängeln deren Reduktion von Klangphänomenen auf die Ebene der Signifikation und Repräsentation. So meint Goodman etwa in Sonic Warfare, „sound as text“ müsse durch „sound as force“ ersetzt werden: „The linguistic, textualist, and social-constructivist perspectives that dominated cultural theory in the 1980s and 1990s are of little use for us here” (Goodman 2010, 10). Auch Cox schreibt in „Beyond Representation and Signification. Toward a Sonic Materialism”, dass etablierte Methoden der Diskursanalyse und der Dekonstruktion nur dazu in der Lage seien, „to account for the textual and the visual, they fail to capture the nature of the sonic” (Cox 2011, 146). Die Einsetzung des Naturbegriffes darf in diesem Zitat durchaus wörtlich genommen werden, denn Cox und Goodman ontologisieren Klang als eine Art Naturentität oder Naturgewalt („sound as force“), die kulturellen Prozessen vorausgeht. Zwar ist Goodman darauf bedacht, seine Ontologie klanglicher Vibrationen durch expliziten Rückgriff auf kulturwissenschaftliche, etwa afro-futuristische Theorievorbilder (z.B. Kodwo Eshun) auszuformulieren und vom „linguistic imperialism“ (Goodman 2010, 82) zu befreien, womit er keinem naiven Physikalismus anheimfällt, aber dennoch am Mantra einer scharfen Grenze zwischen Materie und Zeichen festhält. Cox geht so weit zu behaupten: „musical tones and works are not signifiers, not media for the expression of a semantic content. They do not, for the most part, symbolize or stand for some other thing” (Cox 2011, 148). Hier wird deutlich, wie sich der noble Versuch, die Materialität von Klang ins Blickfeld der Forschung zu rücken, in einen sehr fragwürdigen Zugriff äußern kann, durch den Klang aus der Sphäre der Kultur herausgelöst werden soll, wie Brian Kane (2015) und Marie Thompson (2017b) an Cox und Goodman kritisieren.

Hier lauert ein Fallstrick der Materialität: Die Hinwendung zur Materie kommt in jenen Versionen, die unter diesen ontological turn gefasst werden, einem, wie Thompson (ebd., 267) schreibt, Ursprungsmythos gleich. Damit wird Materialität als etwas ins Feld geführt, das auf ontologischem Level jenseits des Sozialen und des Symbolischen liegt und nicht von sprachlichen Hierarchisierungen bzw. Konstruktionen der Kultur tangiert wird. Denkt man diesen ontologischen Klangbegriff in seinen Konsequenzen weiter, wären Auseinandersetzungen mit race, class, gender, age, sexuality usw. von der Agenda einer klangorientierten Musikforschung völlig zu streichen. Klangforschung hätte dann nicht mehr die Aufgabe, Diskurse, Identitätsbildungsprozesse o.ä. zu untersuchen und könnte sauber davon abgetrennt werden. Thompson merkt in Bezug auf diesen ontological turn an, dass sich dahinter das altbekannte Muster einer Re-Naturalisierung und Invisibilisierung von Normen, speziell von Whiteness und Cis-Männlichkeit, verbirgt (Thompson 2017b, 275). Im Rekurs auf eine vermeintlich unanfechtbare Natur von Klängen können Ungleichheiten und Macht nur allzu leicht verschleiert werden und sich einer kritischen Hinterfragung entziehen. Doch gerade bezogen auf Felder wie die Disability Studies hat die Klangforschung einiges beizutragen. Wie Mara Mills (2011) zeigt, wurden Klangtechnologien besonders in Bezug auf Hörverlust und Taubheit entwickelt und verfeinert, so dass die Fragen „was erklingt?“ und „wie erklingt etwas?“ immer in Verbindung mit den Fragen „wie wird gehört?“ und „wer hört?“ bzw. „wer hört nicht?“ gestellt werden müssen. Es kann keinen Klang ohne Hören, ohne die Kulturen (inklusive der Diskurse, Praktiken und Technologien), die ihn hervorbringen, geben (Großmann 2013, 63; Kane 2015, 14–16; Just 2019; Pelleter 2021, 291–296). Der weiße ableistische Mansplainer Boromir, Protagonist des Films Lord of the Rings, den ich diesem Beitrag provokant als Titelbild vorangestellt habe, sollte nicht das letzte Wort haben.

Diese Kritik am ontological turn bringt mich abschließend zu einem zweiten Fallstrick des materialistischen Denkens. Mit einem Klangbegriff der vibrierenden Materie verspricht man sich auch aus politischer, queerfeministischer und postkolonialer Perspektive neuartige Kultur- und Subjektverständnisse zu denken (Eidsheim 2015; LaBelle 2018; Voegelin 2018). Allerdings wird Materialität in diesem Kontext ebenso oft viel zu simpel als Allheilmittel gegen die Macht des Symbolischen ins Feld geführt. Auch hier wird zunächst die Welt der Zeichen als problematisch markiert und hervorgehoben, dass sprachliche und visuelle Differenzmuster zu einer Privilegierung von weißer Cis-Männlichkeit und einer VerAnderung nicht-weißer/Cis-männlicher Subjekte tendieren. Viele queerfeministische und postkoloniale Arbeiten haben diesbezüglich vortrefflich herausgearbeitet, wie die epistemische Gewalt eines visuellen und sprachlichen Repräsentationalismus der Moderne stets patriarchale, heteronormative und rassistische Ordnungen gestützt hat, man denke hier etwa an die visuellen Ordnungen des „male gaze“ (Mulvey 1985) und der „controlling images“ (Hill Collins 1991, 72–84) oder an die phallozentrische Sprachtheorie bei Jacques Lacan (Butler 1990, 43–50). Im Gegensatz zu Bildern und Sprache sei Klang vergleichsweise „unschuldig“. Klang sei das ausgeschlossene „Andere“ des audiovisuellen Repräsentationalismus der Moderne. Daraus wird dann das Argument entwickelt, dass sich die materielle Welt von Klängen – mit ihrer vitalen und autopoietischen Kraft aus Vibrationen – den Differenzen visueller und sprachlicher Repräsentationsmuster entziehen und widersetzen könne. So schreibt Salomé Voegelin, „the invisible mobility of sound is always already critical of the dualisms of a visuohumanist tradition, in that it is always and by necessity focused on the in-between of things: their relationship and their interbeing. Sound is not ‚this‘ or ‚that‘ but it is the between of them“ (Voegelin 2019, 560). Hierin sieht Voegelin das Potenzial, über klangliche Vibrationen alternative soziale und politische Ordnungen zu erkunden, wir müssten sie einfach nur der „Natur“ ablauschen:

[T]he vibrations make the world a vibration-environment of simultaneous formlessness, which the listener practices to understand the equivalence of things, what they are together as a nonhierarchical texture into which she is woven too. […] And while they [vibrations] are not infinite neither are they inexhaustible, and they can make us hear different materials and voices that are not negotiated through a pre-existing referent but come to speak for themselves. Physiologically, but also politically and socially, we can tune into the hum of the ancestral flow to try to discern different voices and different materialities that so far were considered incommensurable. (Ebd., 566–567)

Die Denkfigur ist hier die gleiche wie beim ontological turn, denn auch hier wird angenommen, dass man den Schleier der Sprache und Bilder lüften und wieder auf Tuchfühlung mit der materiellen Welt der Klänge und Vibrationen kommen müsste.

Jonathan Sterne (2003, 15–16) hat diese naive Generalisierung „audiovisual litany“ genannt, die nicht nur bei Cox und Goodman vorliegt, sondern auch viele queerfeministische und postkoloniale Vertreter*innen zur Materialität treibt. Der Beweggrund ist ein anderer, doch nicht weniger problembehaftet. Auch hier besteht die Tendenz, in einer umgestülpten Dichotomie zwischen Zeichen und Materie zu denken. Die Frage, wie sich Subjekte konkret aus ihrer Verstricktheit mit der Welt der Zeichen herauslösen sollen, wird in diesen Ansätzen nicht zufriedenstellend beantwortet. Mit Blick auf die „audiovisual litany“ des New Materialism gibt Robin James (2019, 87–125) zurecht zu bedenken, dass die Beschäftigung mit der Materialität von Klang nicht zwangsläufig einen Ausweg darstellen, sondern auch die Perpetuierung von Exklusionsmustern verschleiern kann. In der Annahme, dass die Materialität von Klang egalitäre Formen oder – wie bei Voegelin – hierarchiefreie Strukturen des Sozialen und Politischen ermöglichen soll, resoniert für James das gleiche leere Versprechen, mit dem neoliberale Gesellschaftsformationen unter Berufung auf einen vorgeblich chancengleichen Markt, der doch alle gleich behandele, das Fortbestehen von Hierarchien maskieren. So scheint mir die einzige Lösung in einer Bewegung zu bestehen, die, wie es Barad im Untertitel von Meeting the Universe Halfway ausbuchstabiert, „The Entanglement of Matter und Meaning“ in Theorien und Methoden der Klangforschung produktiv vorantreibt.

Ein Plädoyer für eine materialistische Klang- und Musikforschung

Mein Resümee soll mit Blick auf drei Aspekte wiedergeben, worauf es mir mit diesen Einblicken in Diskurse rund um den New Materialism und einen materialistischen Klangbegriff ankam. Erstens scheinen mir diese lebhaft geführten Debatten produktiv zu sein. Auch wenn ich hier bereits einige Kritikpunkte vorgestellt habe, geben sie Denkanstöße für eine neue Verhandlung von Klang in der Musikforschung. Ich sehe einige Einwände gegen die Perspektive des Sozialkonstruktivismus als berechtigt an. Diese betreffen die Punkte, an denen Diskurseffekte und menschliche Agency in der Kulturforschung priorisiert werden und materielle Stoffe und Dinge mehr oder weniger zu passiven Objekten erklärt werden. Ich hoffe aber auch, verdeutlicht zu haben, dass Materialität und Zeichen nicht zu antagonistischen Gegenspielerinnen erklärt werden sollten. Es stellt sich die Aufgabe, durch weitere Theoriebildung mehr Schnittstellen zwischen materialistischen und kultursemiotischen Ansätzen zu finden. Eine Hinwendung zur Materie sollte keine Absage an die Kulturwissenschaften bedeuten. Doch es ist auch klar, dass die Auseinandersetzung mit Materialität voraussetzt, sich von inzwischen in den Kulturwissenschaften weit verbreiteten und akzeptierten Prämissen des Poststrukturalismus und der Cultural Studies ein Stück weit zu lösen. Gerade ein posthumanistischer Ansatz pocht darauf, Agency und Wirkungszusammenhänge auch losgelöst von der Exklusivität eines menschlichen Zutuns zu denken. Zwar haben der Poststrukturalismus und die Cultural Studies die Autonomie und Souveränität des (westlichen, hetero-cis-männlichen, weißen) Subjekts vortrefflich dekonstruiert, sich aber nicht entschieden genug von anthropozentrischen Denkfiguren lossagen können (Braidotti 2013, 13–37). Wie Rosi Braidotti schreibt, umfasst ein posthumanistischer Entwurf von Körpern, Lebewesen, Dingen und Maschinen zwangsläufig ein „nature-culture continuum“ (ebd., 2–6) und arbeitet langfristig an der Auflösung dieser Dichotomie. Dabei darf die Entwicklung solch eines Entwurfs, wie Alexander Weheliye (2002) insistiert, nicht auf eine Geste der vorschnellen Tilgung kultureller Differenzmuster hinauslaufen, mit der das posthumane Subjekt die Situiertheit seiner soziokulturellen Konstitution abstreitet und so nicht mehr über rassifizierte, gegenderte oder andere Machtverhältnisse gesprochen werden kann.

Zweitens erweitert die Perspektive auf Klang als stoffliche Verkoppelung nicht nur die kultursemiotischen Modelle des Poststrukturalismus und der Cultural Studies. Auch der material turn, der sich in der Musikforschung, wie eingangs erwähnt, vornehmlich mit handfesten Dingen und Gegenständen beschäftigt, kann damit in neue Richtungen gedacht werden. Klang und auch das Musikhören bleiben in den vielen neuen wertvollen Studien zur Materialität von Musikkulturen außen vor oder werden hier gar manchmal explizit als „immaterielle“ Phänomene besprochen (Godau 2022, 104), womit sie kategorisch aus der Diskussion ausgeklammert werden. Wird Klang als wesentliche Konstituente von Musikkulturen als ein solch immaterielles, nicht-anfassbares, nicht-taktiles, stoffloses Phänomen behandelt, wird Musik weiterhin in die Sphäre des Geistes eingeordnet, was den problematischen Dualismus zwischen Geist und Materie auf ein Neues fortschreibt. Werden Klang und Klangerfahrungen hingegen stofflich an die Welt der materiellen Dinge, Partikel und Moleküle gekoppelt, kann diese Grenze aufgelöst werden.

Mein dritter und abschließender Punkt ist noch konkreter auf die Popular Music Studies ausgerichtet. Speziell in Bezug auf Klang scheint mir das Thema Materialität im Kontext der Popular Music Studies noch nicht wirklich angekommen zu sein. Ganz anders in den Sound und Media Studies, in denen diese Debatten Konjunktur haben. Es fehlt, wie Rolf Großmann (2015) betont hat, weiterhin an Schnittstellen zwischen diesen Feldern und speziell zwischen deren Klangverständnissen, die in ihren theoretischen und methodischen Zugriffen noch zu stark voneinander abgeriegelt sind. Wie ich bemerkt habe, haben der Poststrukturalismus und die Cultural Studies die wesentlichen Gründungstexte für die Popular Music Studies geliefert. Deren Selbstverständnis hat sich einst mit dem cultural turn herausgebildet und ist ihm auch heute noch verpflichtet. Ich glaube, dass dies ein ganz entscheidender Grund ist, weshalb es den Popular Music Studies besonders schwerfällt, in neue Richtungen zu denken. Das Plädoyer kann hier also nur lauten, über den Tellerrand kulturwissenschaftlicher Überzeugungen hinauszuschauen und neue Zugänge zu ergründen.


Zum Autor

Steffen Just ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Musikwissenschaft / Sound Studies der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Zuvor wirkte er als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Musik und Musikpädagogik der Universität Potsdam, als Fellow am Exzellenzcluster „Contestations of the Liberal Script“ der Berlin University Alliance (Freie Universität Berlin) und als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Theorie und Geschichte der Populären Musik der Humboldt-Universität zu Berlin. Seine Forschungsinteressen umfassen die Kultur- und Medientheorie und Geschichte der populären Musik, Subjektivierungsprozesse, Machtanalysen, Technologien und gesellschaftliche Dynamiken mit besonderem Fokus auf Klang.


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Abstract (English)

This paper engages New Materialism and explores how its basic premises could pave innovative research avenues in popular music studies. It posits that established culturalist approaches in popular music studies fall short in thinking about materiality, especially when it comes to phenomena related to sound. I discuss this by way of a materialist reading of the discourse on “bass cultures” and the tactility of low frequency sounds in the context of disco and club culture and argue for a new notion of sound, which I call “material coupling”. I contend that this materialist notion of sound makes it possible to elucidate how bodies and affective potentialities in music are shaped. However, I also stress that a reductionist sonic materialism would just lead us into new problematic essentialisms. The solution, I propose, should be able to maintain a balance between materialist and culturalist perspectives, ultimately enabling us to think beyond this dichotomy.